Facebook und der Haarschneideaufsatz
Facebook hat die Art der Kommunikation revolutioniert. Facebook war die erste richtig grosse Kommunikationsplattform im Internet und ist es heute noch. Der Wert des Unternehmens beträgt mindestens eine Fantastiliarde oder so ähnlich.
„Ach, Facebook ist nur noch etwas für Alte,“ hört man allenthalben unken. Na und? Teenager bin ich mit fast 55 Jahren wohl keiner mehr und wenn ich auch noch nicht ganz in die Welt der Senioren gehöre, so kann ich wohl mit hoher Sicherheit annehmen, dass ich mich mit jedem Jahr weiter von der Riege der Teenager entferne. Karin, eine Frau, mit der mich eine kurze, aber intensive Zeit während einer Ausbildung verbindet, ist noch etwas weniger Teenager als ich. Unsere Verbindung besteht seit Jahren hauptsächlich über Facebook. Facebook sei Dank haben wir aber bei jeder zufälligen Begegnung auch gleich einen aktuellen Gesprächsstoff. Karins Gesicht ist oft von einem fast schelmenhaft anmutenden Lächeln geprägt. In Szene gesetzt werden dieses Lächeln und die leuchtenden Augen durch einen frechen Kurzhaarschnitt. Heute schrieb sie auf Facebook: „Bin jetzt aus Frisur technischen Gründen in Quarantäne. Hab‘ vergessen, den Aufsatz auf meine Schneidemaschine aufzusetzen. Ich hoffe, dass ihr alle ausgiebig lacht.“ Hoffnung erfüllt. Ich lache ausgiebig, aber wohl in einer anderen Qualität als manch anderer. Als ich Karins Zeilen las, schoss mir blitzartig eine Erinnerung durch den Kopf.
Ich war gerade damit fertig, das Haupthaar an meinen Hinterkopf auf ca. 8mm zu kürzen, als es nötig wurde, mein Haarschneidegerät zu reinigen. Ich entfernte den Aufsatz und sogar die Schneidevorrichtung. Ich pinselte und ölte und schwelgte in der Vorfreude, dass jetzt für eine Weile beim Haareschneiden nichts mehr ziepen würde. Beschwingt und angefeuert von der freudigen Erwartung setzte ich mein Werk fort. Mit gehörigem Schwung landete die Maschine leicht seitlich versetzt auf meinem Haupt. Wie ein Stromstoss durchschoss es mich, als die kalte Metallplatte meine Kopfhaut berührte und sich sofort in Richtung „lichter Wirbel am Hinterkopf“ auf ihren unglückseligen Weg machte. Wie ein erbarmungsloser Balkenmäher frass sich das frisch geölte Schneidinstrument vorwärts. Es gelang mir, mich aus diesem Moment der apokalyptischen Erkenntnis zu befreien und sendete sogleich ein Notaus-Signal an meine rechte Hand, die den Befehl auch innerhalb von zwei oder drei weiteren Zentimetern umsetzte. Ich hatte die ganze Tragödie zwar im Spiegel verfolgt, doch war mir bis zu diesem Zeitpunkt die Sicht durch den Haarschneider und meine rechte Hand verstellt gewesen. Was ich jetzt zu sehen bekam, war erschütternd. Die Schneise der Zerstörung meines Antlitzes klaffte weithin sichtbar auf meinem Haupt. Es sah aus, als hätte man für ein Matchbox Auto auf meinem Kopf einen Parkplatz gerodet.
Ungläubig betastete ich die kahle Stelle mit meinen Fingern. Durch den entstandenen Schock war wohl alles Blut aus diesen gewichen, und die Berührung fühlte sich leichenartig und kalt an.
Das Kahlrasieren war keine Option. Also blieb mir nur, die Schneidearbeiten einzustellen. Ich begann, die Schneise mit dem benachbarten Haupthaar abzudecken. Mit viel Geduld und noch mehr Haarspray entstand eine seitlich verrutschte Schmalztolle, die aber mehr an einen erbärmlichen Versuch, eine Glatze zu kaschieren, erinnerte als an Elvis Presley.
Karin, ich lache mit, und ich fühle mit. Ich bin mir aber sicher: Wir sind nicht allein!